Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
1 Kor 6,12 – Monatsspruch Mai 2024
Liebe Gemeinde,
Es sind bewegte und bewegende Zeiten. Soviel steht fest. Zuversicht und Enttäuschung, Angst und Frust bilden die Pole einer schwarz-weiß vorgestellten Welt, in deren Zwischentönen Menschen sich zurechtfinden müssen.
Als ich jüngst mit den Konfirmand:innen über ihren Vorstellungsgottesdienst in Holzhausen am Palmsonntag nachdachte, ist uns im Evangelium für selbigen Sonntag (Joh. 12) eine ähnliche Gemengelage aufgefallen: eine Menschenmenge, die zugleich hoffnungsvoll und verzweifelt Palmzweige und Kleider niederlegt und „Hosianna“ („Herr, hilf!“) ruft, während abseits Pharisäer und Schriftgelehrte argwöhnen und verwerfliche Pläne schmieden. Dazwischen Jesus auf einem Esel, keinem der schwarz-weißen Pole zugehörig – eher wie die schillernde Farbenpracht des Regenbogens, die in die farblosen Ränder hineinreitet. Er wird es keinem der beiden, weder der Menge, noch den Argwöhnenden, recht machen können – wohl auch nicht wollen. Ein politischer Umsturz, wie ihn die einen erhoffen und die anderen fürchten, ist mit Jesus nicht zu machen. Die Weltveränderung kommt anders – ganz anders, auf leisen Sohlen, aus Grabeshöhlen, im Morgengrauen. Es beginnt mit Getuschel und mit Schweigen. Nicht mit Geschrei. Aber es wird laut, wenn es sich in Freude auswächst, zu bewegten und bewegenden Zeiten – bis in unsere Tage, wenn wir auch in diesem Jahr wieder den Ostersonntag feiern: den Sieg des Lebens und der Hoffnung.
Davon beseelt, schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth den Monatsspruch für den Mai: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.“ (1. Kor. 6,12)
Wenn ich mit diesen Worten auf die kommenden Wochen und Monate schaue, auch auf das Wahljahr 2024, dann höre ich zugleich einen Grundsatz der Demokratie unseres Landes: Jede und jeder darf sagen und wählen, was sie oder er möchte: „Alles ist mir erlaubt“. Aber hier wie dort gilt auch: „nicht alles dient zum Guten“. Und das Gute ist immer das, was das Leben schützt und achtet – deines, meines und das der anderen auch – und das mit Hoffnung schwanger geht – so wie Ostern; so wie ich glaube, dass Gott handelt, wenn ich es an Jesus ablese. Zugegeben, es ist nicht leicht, sich in den Zwischentönen von Grau bis Kunterbunt in dieser Welt zurechtzufinden. Aber zumindest dieses ließe sich ja vielleicht sagen: Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich, das diesem Guten nicht dient – dem Guten, welches das Leben schützt und achtet und mit Hoffnung schwanger geht.
Ihr und euer Pfarrer Sebastian Schirmer
Was uns am Herzen liegt…
Die Zeit – laut Wikipedia ein Wort, das die Abfolge von Ereignissen beschreibt, sie hat also eine eindeutige, nicht umkehrbare Richtung. Die Psychologie untersucht die Zeitwahrnehmung und das Zeitgefühl. Die Ökonomie betrachtet Zeit auch als Wertgegenstand.
Aber wir empfinden die Zeit ganz subjektiv, denn wir erleben sie mit Menschen in Ereignissen und Erinnerungen.
Mich hat die Zeit vor meinem Umzug nach Leipzig vor 7 Jahren im Dezember 2023 eingeholt … Im Januar 2014 behandelte ich in einer 3. Klasse das Thema der Seligpreisungen. Die Aufgabe der SchülerInnen bestand nach dem Kennenlernen des Themas darin, selbst ausgedachte Seligpreisungen zu finden. Theresa (Name geändert) schrieb: „Glücklich sind die Menschen, die ein großes Herz haben, denn sie werden die Natur verstehen“. Dieses liebevoll gestaltet Blatt habe ich als einziges aus dieser Klasse, aus dieser Zeit, aufgehoben. Oft hatte ich es in Händen und überlegt, ich könnte es doch in den Papierkorb werfen, denn das ist jetzt alles schon 10 Jahre her. Nein, jedesmal hab‘ ich es wieder unter meinen Aktenstapel auf meinem Schreibtisch gelegt und gedacht, ich werfe es nicht weg! …
In der Adventszeit bekam ich eine Mail von einem mir unbekannten Absender. Darin hieß es unter anderem:
„…ich bin ein ehemaliger Schüler aus der Grundschule. Schon immer wollte ich Ihnen schreiben, dass mir Ihr Unterricht gut gefallen hat. Ich hatte es nicht leicht und auch später wurde ich gemobbt … Das Abitur musste ich aus psychischen Problemen abbrechen, war lange im Krankenhaus, jetzt geht es wieder aufwärts. Ich denke oft an Sie und wollte Ihnen das endlich einmal schreiben … Jetzt bin ich nicht mehr Theresa, sondern Oliver (Name geändert) und es geht mir wieder besser…!“
Wie oft hatte ich genau ihr/sein Blatt in der Hand, um es weg zu werfen? Jedes mal hat mir eine innere Stimme gesagt, dass ich es nicht machen soll.
Ich fotografierte das Blatt mit seiner Seligpreisung und schrieb „meine“ Geschichte dazu und schickte es per Mail, zusammen mit einem herzlichen Dank und Advents- und Weihnachtsgrüßen an ihn zurück.
Wir empfinden die Zeit ganz subjektiv, denn wir erleben sie mit Menschen in Ereignissen und Erinnerungen. Darum ist Zeit so kostbar. Sie fliegt, wenn wir mit lieben Menschen zusammen sind, wenn wir sie kennenlernen, wenn wir mit ihnen etwas gestalten, erfinden, ausprobieren … und uns an alles erinnern, was uns mit einigen von ihnen verbunden hat.
Gute Erinnerungen machen nachdenklich und fröhlich, sie können fast Vergessenes wiederbeleben. Sie haben das Zeug für einen Neuanfang!
Bleiben Sie behütet!
Ihre Dorothea Kiffner