Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tage und stehe nun hier und bin sein Zeuge.
Apostelgeschichte 26,22
Gedanken zum Monatsspruch für August 2025
In den Morgenstunden, wenn das Licht durch den Apfelbaum fiel, flirrend und golden, da konnte man glauben, der Sommer würde nie enden. Doch nun war der erste Morgen nach den Ferien, und in Jakobs Badehose hingen noch das Salz und das Rauschen des Meeres, als er sie aus der Reisetasche nahm und auf den Wäschestapel legte. Ein Fetzen Erinnerung an die Tage am Strand wogte in ihm auf, als die Badehose aus seinen Händen glitt – Sekunden von Freude und Wehmut.
Jakob war zehn. Die Schule stand wieder vor der Tür und er hatte eine neue Schultasche. Grün mit blauen Streifen, nicht mit Dinos, wie die alte, sondern mit Sternen. Es war eben Zeit für etwas Neues. Die Mutter lächelte beim Kauf, wie sie viele Male gelächelt hatte in diesem Sommer – beim Radfahren, beim Pfirsicheschälen, beim Sonnenaufgang über dem Zeltplatz – es war ein herrlicher Sommer. Jetzt stand sie an der Zimmertür und winkte Jakob zum Frühstück.
Sie aßen draußen, wie während der gesamten Ferien, wenn das Wetter hielt. Die Butter war weich, der Saft zu warm, aber jetzt schmeckte alles nach Aufbruch.
„Ich glaube, ich freu mich“, sagte Jakob mit vollem Mund.
„Worauf denn?“, fragte die Mutter.
„Auf die neue Lehrerin. Und auf das eine Kind aus Syrien, das neu kommt. Ich will’s in meiner Tischgruppe haben.“
Die Mutter sah ihn an, ein bisschen erstaunt, ein bisschen stolz. Sie fragte nicht, woher der Gedanke kam – so einfach und so freundlich und so klar. Aber sie dachte plötzlich an all die kleinen Dinge, die über die Wochen hinweg passiert waren. Dass die Ferien so unbeschwert sein konnten und die Tage auf dem Zeltplatz an der Nordsee so schön, dass die Großmutter nach ihrer Operation wieder genesen war, dass Hektor, Jakobs Vater, doch noch das Gespräch nach dem Streit gesucht hatte, dass Jakob nach seinem nächtlichen Fieber einfach wieder gesund geworden war. Vielleicht alles nicht groß. Nichts, worüber man lange sprechen würde. Und doch war sie auf einmal ganz sicher: Das hatte alles mit Hilfe zu tun. Hilfe, die nicht aus ihrer Hand kam. Und sie war Zeugin dieser Hilfe geworden.
„Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge.“
Später ging Jakob allein zur Schule. Die Mutter hätte ihn gern begleitet, aber er wollte es so. Sie sah ihm nach, wie er ging, nicht eilig, nicht zögernd, sondern so, wie man geht, wenn man angekommen ist im nächsten Schritt – fest und leicht. Die Schultasche wippte, ein Stück Brot hatte er noch in der Hand, weil die Zeit doch plötzlich wieder schneller verging als noch in den Ferien. Da flatterte neben ihm, am Straßenrand, ein Schmetterling in seinen Lauf, als wollte er ein Stück abhaben oder mitkommen. Vielleicht auch beides.
Jakob bog um die Ecke, und dort waren sie: neue Gesichter, alte Freunde, Eltern mit feuchten Augen und Lehrer mit Listen. Das Schulhaus sah aus wie immer – ein bisschen grau, ein bisschen riesig. Und Jakob blieb stehen. Er stand da mit dem Sommer in den Schultern, dem Gefühl von Salzwind in den Haaren und all dem, was keiner sehen konnte: das Lachen am See, das Weinen im Zelt, das Licht über dem Apfelbaum und die große Ruhe im Herzen, die da hineingewachsen war, still, Tag für Tag. Er war ihr Zeuge. Hier stand er nun. Er sah sich um. Jemand rief seinen Namen.
Er hob die Hand. Und ging los.
Pfr. Sebastian Schirmer